Ohne die Fans wären Fußballer arme Schlucker: Die Ökonomie einer seltsamen Symbiose

Vermutlich ist die Verbindung nie inniger. Dann, wenn der Schiedsrichter das Spiel mit dem Schlusspfiff beendet hat, die Spannung sich langsam löst, die Erschöpfung spürbar wird. Bei den einen, weil sie gerannt und gegrätscht sind, bei den anderen, weil sie grölten und hüpften. Dann kommt die Zeit der Verbrüderung. Die Spieler traben zu den Fans. Zu ihren Fans. Sie applaudieren ihnen zu. Als hätten die um den Sieg gerungen.

Die Fans applaudieren zurück. Zumindest dann, wenn sie mit der Leistung ihrer Mannschaft zufrieden sind. Falls nicht, hagelt es Pfiffe und Schmährufe. Nirgendwo sonst im Leben ist es erlaubt, seine Verachtung dermaßen offen zu zeigen. Sportfans dürfen das. Was heißt dürfen, sie machen es einfach. Weil sie mächtig sind. Sie wissen das. Als Gruppe sind sie stark. Ohne sie gäbe es die da unten auf dem Rasen gar nicht. Kein Mensch würde Franck Ribéry kennen. Auf dem Konto von Arjen Robben würden sich nicht die Millionen stapeln.

Es ist wie in der Physik. Wie es die Zeit ohne den Raum nicht geben kann, gibt es ohne Fans auch keine Stars. Beide Zusammenhänge sind auf den ersten Blick unverständlich. Eigentlich denkt man, dass der Star die Fans gar nicht nötig habe. Weil er doch so besonders ist, weil er in einer anderen Liga spielt. Der Star ist ein Star, weil er ein Star ist. Losgelöst von Raum und Zeit.

Doch so ist es nicht. Ein Star kann ohne seine Verehrer vieles sein, eines aber auf keinen Fall: ein Star. Nur die Verehrung hebt einen Menschen auf den Heldensockel. Alleine kann ihn keiner besteigen. Es braucht mindestens zwei. Das macht jene, die zur Lichtgestalt aufschauen, zu den wahren Mächtigen. In der Wirtschaft nennt man das Konsumentenmacht. Die Nachfrage schafft sich ihr Angebot. Die Fans schaffen sich ihre Stars.

Fans sind arme Schlucker. Sie kaufen Eintrittskarten, Zugtickets für Auswärtsspiele, Trikots, Kaffeetassen mit Vereinsemblem, TV-Abos für den Sportkanal. Die Fans haben die gleichen Ziele wie ihre Stars. Sie wollen Erfolg. Aber während die einen für den Erfolg bezahlt werden, zahlen die anderen den Preis des Erfolgs.

Die Wirtschaftsgeschichte des deutschen Fußballs beginnt am 31. Mai 1903. Und sie beginnt bescheiden: 473 Mark bringt das erste Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft ein, das zwischen dem VFB Leipzig und dem DFC Prag (der damals zum Deutschen Fußballbund – DFB – gehört) ausgetragen wird. 473 Mark, soviel hatten die 2000 Zuschauer insgesamt für die Eintrittskarten bezahlt.

Die Fußballgeschichte der folgenden 100 Jahre wird auch eine Geschichte der Begrenzung und der Legitimation von Fußballergehältern. In England, wo bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fußball Volkssport ist, bringen große Fußballstadien große Einnahmen. Davon profitieren auch die Spieler.

Und schon damals wird heftig darüber diskutiert. „Alcock, der damalige Vorsitzende des britischen Fußballverbandes, entgegnete den Kritikern, es sei nichts unmoralisch daran, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen und dies gegebenenfalls auch, indem man Fußball spiele“, schreibt der Historiker Franz-Josef Brüggemeier in einem Aufsatz über die Wirtschaftsgeschichte des Fußballs.

Weil in Deutschland dagegen das Ideal vom Amateur hochgehalten wird, gedeiht die Schattenwirtschaft. Gute Spieler werden mit „Arbeitsplatzangeboten“ zu Vereinen gelockt. Der FC Schalke 04 zum Beispiel stellt Bergleute ein. Unter Tage fährt kaum einer. Von Ernst Kuzorra etwa, der in den 1920er bis 1940er Jahren mit Schalke sechsmal Deutscher Meister wird, ist die Aussage überliefert, dass er als Bergmann nicht genug Kohle gefördert habe, um das Licht einer einzigen Kerze zu ersetzen.

1948 geht man mit der Einführung von „Vertragsspielern“ den ersten Schritt in Richtung Profifußball. Allerdings dürfen die Gehälter die Grenze von 320 Mark pro Monat nicht übersteigen. Deshalb „arbeitet“ Helmut Rahn, der 1954 das entscheidende Tor zum 3:2 WM-Endspielsieg gegen die Ungarn erzielte, als Fahrer eines Zechendirektors. Und Fritz Walter wäre 1951 um ein Haar nach Madrid gewechselt. Eine halbe Million Mark hätte er dafür bar auf die Hand bekommen. Walter blieb in Kaiserslautern – und bekam einen Bauplatz plus Haus.

Der Durchbruch zum Profifußball bringt 1963 die Bundesliga. Zuvor hatte es fünf Oberligen mit 70 Vereinen gegeben. Mit der Einführung einer einzigen Top-Liga steigt das Interesse, die Zuschauerzahlen – und die Gehälter. Und wieder gibt es eine Obergrenze: Mehr als 1200 Mark darf kein Fußballer verdienen.

Aber die Spieler sind nicht nur auf dem Platz trickreich. Schalke verliert mit Absicht und rettet Bielefeld vor dem Abstieg, genauso macht es Köln mit Rot-Weiß Oberhausen. Die Manipulationen fliegen auf. Zum Glück für die Profis: Mit dem Bundesligaskandal von 1972 werden auch die Einnahme-Obergrenzen aufgehoben. Die Gehälter steigen weiter.

Auch mit der Einführung der Privatfernsehsender. 1988 erwerben diese erstmals die Übertragungsrechte für die Bundesliga und zahlen 40 Millionen DM – doppelt so viel wie bis dahin üblich. Und 1995 beendet das so genannte Bosman-Urteil die Unsitte der Vereine, den Wechsel eines Spielers dadurch zu verhindern, dass sie – auch nach Vertragsende – unbezahlbare Ablösesummen verlangen. Das Geld, das vorher in Form von Transfers zwischen den Vereinen zirkulierte, wandert nun in die Taschen der Sportler.

Die Einkommensschere zwischen den Sportlern auf dem Rasen und den Fans auf der Tribüne ist im Laufe eines Jahrhunderts stetig gewachsen. Fußballstars beziehen Einkünfte, für die Josef Ackermann aus dem Land gejagt würde.

Die Fans strömen dennoch in die Stadien. Sie akzeptieren, dass nicht nur sie selbst, sondern auch die Profifußballer mächtig sind. Diese können, was ein Fan nicht kann: Den Verein wechseln. Und sie wechseln in der Regel dorthin, wo es am meisten zu verdienen gibt. Der Verein ist Arbeitgeber. Mehr nicht. Lockt ein anderer Arbeitgeber mit einem lukrativeren Angebot, werden die Koffer gepackt. Profiklubs geben bis zu 80 Prozent ihrer Einnahmen für Löhne aus. Gäbe es in der Automobilindustrie ähnliche Verhältnisse, kein Mensch könnte sich ein Auto leisten.

Warum das so ist? Weil der Erfolg, auch der finanzielle, von der Leistung Weniger (elf plus Auswechselspieler) abhängt. Spielen die gut, winken Millioneneinnahmen, etwa durch die Teilnahme an der Champions League. Wo die Klasse von Einzelnen über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, können diese hohe Forderungen stellen.

Die Vereine haben sich an die Entwicklung angepasst. Genauer gesagt spielen gar keine Vereine mehr gegeneinander. Zwar lautet die Paarung weiter offiziell FC Bayern München gegen SV Werder Bremen. In Wirklichkeit aber tritt die FC Bayern München AG und die Werder Bremen GmbH & Co. KGaA gegeneinander an. Denn die Vereine haben ihre Profimannschaften längst in Kapitalgesellschaften ausgelagert. Bei den Bayern zum Beispiel hält der Verein 90 Prozent an der AG, 10 Prozent gehören Adidas.

In ausländischen Ligen haben Kapitalanleger Vereine komplett übernommen. Vor allem in England gehören viele Klubs Investoren. Mit Erfolg. Die britische Liga hat in den vergangenen Jahren – gemeinsam mit Spanien – den europäischen Ligafußball dominiert. Der US-amerikanische Milliardär Malcolm Glazer zum Beispiel hatte für mehr als eine Milliarde Euro den Traditionsverein Manchester United übernommen. 2008 gewann der Verein die Champions League.

Ob das Konzept Zukunft hat, ist dennoch unsicher. Kapitalgeber wollen vor allem eines: Gewinne erwirtschaften. Und das möglichst schnell. Glazer etwa finanzierte den Kauf von Manchester United selbst mit Krediten. Die muss der Klub jetzt abzahlen. Im Geschäftsjahr 2008/2009 hatte Manchester United 77 Millionen Euro an Zinsen zu zahlen. Und um die Finanzlage nicht weiter zu verschlechtern, musste man vergangenes Jahr den Weltfußballer Cristiano Ronaldo für 100 Millionen Euro an Real Madrid verkaufen.

In Deutschland sind derartige Übernahmen nicht möglich. Die Profiunternehmen müssen mehrheitlich den Vereinen gehören. Die so genannte 50+1-Regel verhindert, dass Investoren die Stimm-Mehrheit in von Fußballvereinen gegründeten Kapitalgesellschaften übernehmen. Als Ende vergangenen Jahres der Präsident von Hannover 96, Martin Kind, bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) eine Satzungsänderung der 50+1-Regel beantragte, erhielt er eine deutliche Abfuhr. Kind war der einzige, der für die Satzungsänderung stimmte. Drei Funktionäre enthielten sich, die anderen 32 stellten sich gegen eine Öffnung der Klubs für finanzkräftige Investoren.

„Die Fans wollen einfach nicht fremdbestimmt werden. Das hat die Mitgliederversammlung goutiert“, sagte Ligapräsidenten Reinhard Rauball nach der Abstimmung. Die Funktionäre hätten im Interesse der Fans entschieden.

Vielleicht ist das so. Vielleicht auch nicht. Denn bekämen Investoren mehr Einfluss, müssten die Funktionäre ihren aufgeben. Und gegen die Abschaffung der eigenen Wichtigkeit stimmt keiner gerne. „Viele von denen, die heute was zu sagen haben, würden später nicht mehr mit am Tisch sitzen – die Funktionäre müssten verrückt sein, wenn sie diesen Status Quo aufgeben würden“, meint der Würzburger Wirtschaftsprofessor Norbert Berthold.

Kritiker der 50+1-Regel halten die Bundesliga für unterkapitalisiert und deshalb im europäischen Vergleich wenig wettbewerbsfähig. Die Bundesliga könne die Top-Riege der Fußballer nicht bezahlen.

Vielleicht wird diese Beschränkung deshalb auch bald fallen. Die Fans werden es akzeptieren. Wie sie alle Veränderungen akzeptiert haben, die die Spieler reicher machten. Weil das Gleichgewicht dennoch gewahrt bleibt. Der Fußballer unten auf dem Rasen mag an einem Abend mehr verdienen, wie mancher Fan in seinem ganzen Leben. Der Star ist reich, aber er ist der Diener der Fans. Er macht sie mächtig. Er macht sie glücklich.

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